Sektion 12

Vorlesen und Erzählen zur frühen Anbahnung von Narration und Literalität

Sektionsleitung: Petra Wieler (Freie Universität Berlin); Alexandra Ritter (Universität Halle-Wittenberg)

Sowohl das Vorlesen bzw. die Begegnung mit Bilderbüchern und anderer Kinderliteratur als auch das (Geschichten)Erzählen gelten als literarische Praktiken, die für den Sprach- und Literaturerwerb des Kindes und zugleich für dessen spätere (schrift)sprachlichen Fähigkeiten - somit für seine Bildungschancen insgesamt - von maßgeblicher Bedeutung sind (vgl. Isler, 2016, S. 16 ff., s. 51 f.). Die verschiedenen Diskursformen beeinflussen sich wechselseitig, zumal das Vorlesen in Erst- oder Zweitsprache häufig Erzählaktivitäten evoziert, die wiederum von den in der Lektüre erfahrenen narrativen Mustern geprägt sein können (vgl. Müller, 2013, S. 234; vgl. auch Drepper, 2022).

Gemeinsam ist der literarischen Rezeption und dem Erzählen, dass sie zu komplexen mentalen Repräsentationen herausfordern und damit zugleich einen Sprachgebrauch nahelegen, der von der aktuell gegebenen Situation abstrahiert. Speziell diese Fähigkeit zur Dekontextualisierung gilt als wesentliche Voraussetzung für den späteren Schriftspracherwerb (vgl. Wieler, 2018, S. 35) ebenso wie für das fachsprachliche Lernen in allen anderen Unterrichtsfächern.

Übereinstimmend betonen Sprach- und Literaturdidaktik die Notwendigkeit, - über eine ein-seitige Förderung kognitiver Fähigkeiten hinaus - das gesamte Bildungspotenzial von literarischen Rezeptionsaktivitäten und Erzählsituationen auszuschöpfen, und zwar einschließlich ihrer motivationalen sowie emotionalen Dimension und unter besonderer Berücksichtigung des ästhetischen Lernens (vgl. Ritter, 2017, S. 260 ff.; vgl. Scherer, Volz & Wiprächtiger-Geppert, 2014).
Dies unterstreicht, in welch elementarer Weise literarische Rezeptionsaktivitäten ebenso wie das Erzählen einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Ausbildung von Möglichkeitssinn und gesellschaftlicher Partizipation leisten können.

Daher gilt das besondere Interesse der Sektion literarischen Praktiken innerhalb und außerhalb der Schule. Im Sinne eines gleichermaßen fachspezifischen wie auch fachübergreifenden Qualifikationsanspruchs des Deutschunterrichts versprechen diese, die Lernenden in der Ausbildung und Weiterentwicklung zu Vorstellungsfähigkeit, zum Denken in Entwürfen und zum Gespräch darüber anzuregen. Ferner vermögen sie, zum reflexiven Umgang mit Symbolsystemen jeglicher Art zu befähigen und Einsichten in den je spezifischen narrativen Sprachgebrauch und die fachsprachlichen Besonderheiten (auch) unterschiedlicher Themenbereiche schulischen Lernens zu vermitteln (vgl. Gellert & Jablonka, 2023).

Fragen, die in der Sektion bearbeitet werden, könnten sein:

  • Welche Kind-Kind-Interaktionen oder auch Erwachsenen-Kinder-Interaktionen finden in literarischen Rezeptionssituationen und im Kontext des Erzählens statt (in der Familie, in der Schule, an außerschulischen Lernorten)?
  •  Welche Lektürepräferenzen haben Kinder und in welchem Zusammenhang stehen sie mit der Lektüreauswahl der Erwachsenen (Eltern/Lehrpersonen)?
  • Welche literarischen Artefakte werden - in welchen Sprachen - rezipiert (Bilderbuch, (Computer-)Spiele, Bücher, Filme/Serien, Hörbücher)?
  • Inwiefern wirkt sich die Digitalisierung auf literarische Praxis aus?
  • Welche Bildungspotenziale werden durch literarische Praktiken eröffnet? Wie werden solchermaßen soziale Teilhabe und Partizipation ermöglicht?

Sektionsprogramm

Datum Uhrzeit Vortragstitel
Montag, 16.9. 10.15 Uhr - 10.30 Uhr Begrüßung und Einführung durch die Sektionsleitung
10.30 Uhr - 11.10 Uhr Christian Müller, Laura Avemarie, Mabu Aghaei, Nora Eisinger, Sarah Imhof, Swantje Marks & Claudia Becker: Vorlesen mit printmedialen und digitalen Bilderbüchern – Empirische Ergebnisse zu Vorlesepraktiken von pädagogischen Fachkräften in inklusiven Kontexten/td>
11.10 Uhr - 11.50 Uhr Marlene Obermayr: Vorlesepraxis als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Literacy-Programmes für Familien – eine Design-Based Research Studie
11.50 Uhr - 12.30 Uhr Claudia Müller-Brauers, Christiane Miosga & Fabian Buchmeier: Narratives Verstehen digitaler Bilderbücher in Vorlesesituationen ­- zum Wechselspiel von Materialität und Interaktion
Dienstag, 17.9. 13.45 Uhr - 14.25 Uhr Martin Schastak & Sabrina Geyer: Additive und integrative mehrsprachige Bilderbücher beim gemeinsamen (Vor-)Lesen im familiären Kontext
14.30 Uhr - 15.10 Uhr Jeanette Hoffmann & Giulia Mirandola: Bildungspotenziale literarischer Praktiken mit gereimten Bilderbüchern in der Grundschule in mehrsprachigen Kontexten
15.15 Uhr - 15.55 Uhr Svetlana Vishek: Familiales Vorlesen von mehrsprachigen Bilderbüchern und die Enkulturation mehrsprachig aufwachsender Kinder
Mittwoch, 18.9. 10.15 Uhr - 10.55 Uhr Anna Kochanova: Sprache (anders) erfahren: Erzählen in Grundschulwillkommensklassen
11.00 Uhr - 11.40 Uhr Natalia Sarota: Flucht, wie sie Kindern erscheint – Eine qualitativ-rekonstruktive Untersuchung zur Rezeption des Bilderbuchs Flucht durch Grundschulkinder. Einblicke in individuelle, geteilte Bedeutsamkeiten
Pause
13.45 Uhr - 14.25 Uhr Stefanie Schwandner & Raila Karst: Komm, lies doch nochmal vor… // Ehrenamt in der Primarstufe im Kontext von Professionalisierung und Lesesozialisation
14.30 Uhr - 15.10 Uhr Fritz Kempas: Orientierungen und Haltungen von Studierenden des Grundschullehramts zur Shoah
15.15 Uhr - 15.55 Uhr Abschlussdiskussion

Hier erhalten Sie die Abstracts zu den Vorträgen
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